Gerresheim: Historie

 
Historischer Rückblick Gerresheim

Es war wohl das gemäßigte Klima mit milden Wintern und feuchten kühlen Sommern, der fruchtbare Lössboden sowie die von kleineren und grösseren Bächen wie Düssel, Pillebach und Rotthäuser Bach durchflossenen Wälder am Westrand des Bergischen Landes, welche seit etwa 4000 Jahren immer wieder Menschen anzogen und den Landschaftsraum um Gerresheim besiedeln ließen.

Eine kontinuierliche Niederlassung von Menschen in Gerresheim selbst ist durch archäologische Funde etwa mit Beginn des 9.Jahrhunderts nach Christus nachgewiesen, also dem Jahrhundert, in dem mit der Jahreszahl 870 erstmals ein „Gerichesheim“ urkundlich genannt wird.

Den Hof des fränkischen Grafen Gerrich, des namengebenden Gründers der späteren Stadt, der wohl im Schatten der heutigen Basilika St. Margareta zu suchen ist und dessen erster spärlicher Nachweis in Form von Erdverfärbungen, Herdstellen und datierenden Keramikscherben sich 1988 in der Baugrube des Altenstiftes in der Gerricusstrasse fand, darf man sich nicht als befestigte steinerne Wohnanlage vorstellen, sondern als eine in Fachwerkbauweise mit lehmverputzten Wänden errichtete Gebäudegruppe mit einem grösseren, mehr oder weniger repräsentativen Wohngebäude, einigen Stallungen und Speichern sowie einer kleinen, ebenfalls hölzernen Kapelle, dem Vorgänger unserer steinernen Basilika. Dieses Bild einer fränkischen Hofgruppe lässt sich durch Rekonstruktionen nach Ausgrabungsbefunden in anderen rheinischen Gemeinden so oder ähnlich auch auf Gerresheim übertragen.

Im Abstand von mehreren hundert Metern wird es weitere kleine Hofstellen auf dem hochwassersicheren Westhang des Pillebachtales gegeben haben, so vielleicht im Gebiet des ehemaligen Derner Hofes am Dernbuschweg im Norden und nach neuesten Keramikfunden wohl auch im Bereich der heutigen Schönaustrasse und der Strasse „Am Pesch“.

Die Stiftung eines christlichen, freiweltlichen Frauenkonventes durch den ohne männliche Erben verstorbenen Grafen Gerrich, dessen erste Äbtissin seine Tochter Reginbierg war, führte in kurzer Zeit zum bedeutendsten Stift für hochadelige Frauen im Bergischen Land.

Die wohlhabende klösterliche Gemeinschaft, deren Kanonissen ihre Güter in das Stift einbrachten und ihren Besitz auch mehren durften, zog bald Handwerker und Bauern aus der Umgebung an, die sich im Halbkreis um die Stiftsimmunität ansiedelten. Von einer Brandschatzung durch ungarische Reiternomaden um 920 erholte sich der Ort sehr schnell, so dass vor allem während des 12. und 13. Jahrhunderts Stift und Ort in einer wirtschaftlichen Hochblüte standen. Auch die Häuser dieser Zeitepoche bestanden meist noch aus Fachwerk, höchstens Keller und Fundamente waren aus Stein gefügt.

In unserer Gegend, wie auch in weiten Teilen des Niederrheines, herrschte während des Mittelalters aus den geologischen Gegebenheiten heraus eine ausgesprochene „Steinarmut“. Das nächste Steinvorkommen lag als Schiefer und Kalkstein im etwa fünf Kilometer entfernten Neandertal bei Erkrath. Die dort gebrochenen Schieferplatten mussten mühsam auf unwegsamen Wegen durchs Düsseltal und über die Gerresheimer Höhen herangeschafft werden. So ist es nicht verwunderlich, dass in einer Kaufurkunde von 1298 ausdrücklich von einem „steinerner Wohnhaus“ die Rede ist, eine ausgesprochene Rarität in dieser Zeit. Die Errichtung der 1236 geweihten Stiftskirche St.Margareta aus „exotischem“ Drachenfelstrachyt und Eifeler Tuffstein manifestiert demzufolge ausdrücklich den Wohlstand des Damenstiftes und sollte gleichwohl die Kirche als „steingewordenes Lob Gottes“ weit über die kleinen Fachwerkhäuser des Ortes Gerresheim hin sichtbar machen.

Die erwähnte „Steinarmut“ führte dazu, dass man in unserer Gegend bereits ab dem 14.Jahrhundert aus den in grossen Mengen in der Rheinniederterrasse und in Teilen der Mittelterrasse um Gerresheim anstehenden Lehmen und Tonen in kleinen Feldbrandöfen Ziegel brannte. So bestehen in Gerresheim die Fundamente und im Original erhaltene Mauerwerke von historischen Häusern zumeist aus einem Gemisch von Neandertaler Schiefer, aufgelesenen Bruchsteinen und handgeformten Feldbrandziegeln.

Die bebauten Grundstücke zogen sich im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gerresheim hauptsächlich entlang der heutigen Strassen „Neusser Tor“, „Kölner Tor“ und der Gräulinger Strasse, die, von der Kirche ausgehend,zu den jeweiligen gleichnamigen Stadttoren und weiter Richtung Düsseldorf, Hilden und Ratingen führten. Weite Flächen innerhalb der Stadtmauern blieben unbebaut und waren als Gärten und Felder genutzt. Die Ansichtszeichnung Gerresheims des Kartografen Ploennies von 1715 mit vielen Freiflächen und Bäumen ist, wie archäologische Befunde und die noch bis vor wenigen Jahren im „Wallgraben“ vorhandenen schmalen, gärtnerisch genutzten Parzellen aufzeigten, durchaus wirklichkeitsnah.

Mit dem Niedergang des Stiftes im 16. Jahrhundert begann gleichzeitig eine rapide Verarmung des Ortes. Stadtbrände, der Überfall durch Truchsess`sche Truppen im Jahr 1586 und mehrere Plünderungen im Dreißigjährigen Krieg trugen ebenfalls dazu bei, dass Gerresheim bis ins 19. Jahrhundert hinein als kleines Bauerndorf verharrte und nicht über seinen inzwischen verfallenden Mauerbering hinauswuchs.

Erst die nur vorsichtig einsetzende Industrialisierung ab der Mitte des 19.Jahrhunderts und damit verbunden ein verstärkter Zuzug von Bürgern ließ den Ort langsam aus seinem Dornröschenschlaf erwachen und innerhalb wie ausserhalb des Wallgrabens neue Wohngebäude entstehen. Diese Entwicklung lässt sich in Zahlen ausdrücken: 1797 zählte das alte Gerresheim 600 Einwohner und 88 Häuser, 1871 bereits 1588 Bürger mit 175 Häusern. Auch das Mitte des Jahrhundert eingeführte „preußische Fluchtliniengesetz“ brachte mit neuen, breiteren Strassentrassen und Gebäudefluchtlinien erstmals eine tiefgreifende Auflösung der urprünglichen, mittelalterlich geprägten Ortsstruktur. Die ersten mehrgeschossigen Wohn- und Geschäfts-Reihenhäuser im sachlichen „preussischen Stil“, rein aus Ziegeln, traten an die Stelle der ärmlichen Fachwerkhäuser, die reihenweise abgerissen wurden.

Nicht erst mit der Eingemeindung Gerresheims nach Düsseldorf im Jahr 1909 entdeckten die Düsseldorfer Bürger den Waldreichtum und die „gute Luft“ um Gerresheim und verlegten ihren Wohnsitz hierhin. In den 20er und vor allem in den 30er Jahren des Jahrhunderts setzte die endgültige, tiefgreifende Bebauung der Benderstrasse und, vor allem, ihrer nördlichen und südlichen Seitenstrassen ein. Die Grafenberger Ziegeleien links und rechts der Bergischen Landstrasse standen als Baustofflieferanten auf dem Höhepunkt ihrer Produktion.

Im Süden des historischen Ortskerns Gerresheims hatte sich ab dem letzten Drittel des 19.Jahrhunderts eine gänzlich andere Entwicklung abgezeichnet. Durch den Bau der ersten westdeutschen Eisenbahnlinie zwischen Düsseldorf und Elberfeld in den Jahren 1838 bis 1841 wurde eine für die wirtschaftliche Entwicklung eminent wichtige Verbindung des Bergischen Landes mit dem Rhein und damit zu den Nordseehäfen geschaffen. Neben dem Bau einer Eisenhütte in Hochdahl schuf die 1864 erfolgte Gründung der Gerresheimer Glashütte durch Ferdinand Heye im Bereich der auf einer sprichwörtlichen „grünen Wiese“ gebauten Gerresheimer Bahnstation nahe Pillebach und Düssel eine grosse Anzahl neuer Arbeitsplätze. Dadurch, dass Heye seine Glasmacher meist aus Schlesien, Polen und Russland anwarb, wurden aus Backsteinen werkseigener Ziegeleien nicht nur die Fabrikgebäude, sondern auch auf die Belange der Schichtarbeiter eingerichtete Glasmacherwohnungen mit fensterlosen, lärm- und lichtgedämmten Schlafzimmern gebaut. Bereits 1878 konnte in dem schnell wachsenden neuen Stadtteil ein eigenes evangelisches Gemeindezentrum mit Kirche, Gemeindehaus und Schule zwischen Heyestrasse und Dreifaltigkeitsstrasse eingeweiht werden. In den folgenden Jahrzehnten entstanden entlang der Verkehrsachse Heyestrasse in rascher Folge und in einem teilweise krassem architektonischen Gegensatz zu den einfachen funktionalen Arbeitersiedlungen aufwendige Villenanlagen, mehrgeschossige Wohn- und Geschäftshäuser sowie, im Viertel um Ottostrasse und Hardenbergstrasse, Bürgerhäuser mit überbordenden Ornamenten geschmückten Fassaden.

Der westlich der Glashütte und entlang der bewaldeten Geländekante zwischen der Mittelterrasse von Gerresheim und der Rhein-Niederterrasse sich erstreckende „Torfbruch“ war dagegen, wie der Name schon sagt, eine sumpfige, von der Düssel durchflossene, kaum erschlossene Niederung. Dies blieb so bis in unser Jahrhundert hinein. 1871 standen im grossflächigen Torfbruch ganze 15 Häuser mit insgesamt 154 Einwohnern ! Nur im trockeneren hangnahen Bereich der Dreherstrasse/Torfbruchstrasse wurden um die Jahrhundertwende die ersten mehrgeschossigen Wohnbauten errichtet. Für das flache, von Entwässerungsgräben durchzogene Brachland in Richtung Flingern begann dagegen erst in den 20er und 30er Jahren eine grossräumige Umnutzung. Das Land, die städtische Kommune und auch politische Organisationen boten weniger kapitalkräftigen Siedlungswilligen, meist einfachen Arbeitern und Angestellten, verbilligt Grund und Boden zum Bau von Ein- und Mehrfamilienhäusern in Eigenleistung an. Zum Grossteil in aus der Not geborenen Siedlungs- und Nachbarschafts-Gemeinschaften entstanden so einfache Ein- und Zweifamilienhäuser entlang der Bertastrasse, um den Postsportplatz und auch die Ostparksiedlung an der Grenze nach Grafenberg. Einige dieser Häuser konnten erst durch die nachfolgende Generation endgültig fertiggestellt werden. Die grosszügige Verteilung von Grabeland für Gemüse-und Obstgärten geben bis heute dem Torfbruch das Bild einer locker bebauten, durchgrünten Landschaft, der erst in unserer Zeit durch Planung von Gewerbegebieten und massiver Bebauung eine Zäsur bereitet wird.

Der nahe der „Ostparksiedlung“ beginnende Grafenberger Wald wurde von den Gerresheimern zumeist, schon äußerlich bedingt durch die bewaldete Geländekante zwischen Rath und dem Staufenplatz, als Grenze zu Düsseldorf angesehen und damit Grafenberg selbst unterschwellig fast als „Ausland“ betrachtet. Dabei ist die heutige Grafenberger Allee mit Staufenplatz, Ludenbergstrasse und weiterführender Bergischer Landstrasse seit dem Mittelalter bis in unsere Zeit eine der meistbenutzten Verbindungen zwischen Düsseldorf und dem Bergischen Land. Dies zog neben Pferdewechselstationen und Gaststätten um die Jahrhundertwende auch betuchte Düsseldorfer Bürger an, die in verkehrsgünstiger und gleichzeitig naturnaher Lage, aber in gebührendem Abstand zur Strasse, ihren oft aufwendigen Wohnsitz bezogen. Die traditionsreiche Grafenberger Pferderennbahn schuf dazu das nötige gesellschaftliche Ambiente. Eine Kette einfacher Arbeiterhäuser entlang der Ludenbergstrasse waren dagegen für Werktätige der grossen Grafenberger Industrieunternehmen wie Haniel und Lueg entstanden. Der Lärm der Tag und Nacht vorbeifahrenden Strassenbahnen und Fahrzeugen liessen deren Bewohnern, neben ihrer kräfteraubenden Arbeit in den Maschinenfabriken, ihre Bleibe gewiss nicht als Idylle erscheinen. An Lärmbeeinträchtigung hat sich bis heute trotz moderner Technik nicht viel geändert.

Gleich am östlichen Rand des Grafenberger Waldes, zu Beginn der Bergischen Landstrasse, wurde 1876 die „Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Düsseldorf-Grafenberg, heute als Klinik für Psychiatrie der Heinrich-Heine Universität angeschlossen, im sogenannten „Berliner Villenstil“ als einzelstehende Pavillons erbaut. Gemäß dem damaligen Umgang mit geistig Kranken sollten die Patienten in ländlicher Gegend, außerhalb der Stadte in geschlossenen Anstalten abgeschirmt und hinter Mauern und Gittern gehalten werden. Als Heilungstherapie diente unter anderem eine Beschäftigung in eigenen Bäckereien, Schneidereien, Büros sowie in der Garten- und Feldarbeit. Erst nach 1900 erfolgte im Zuge von Reformen zur Überwindung der Isolation ein Abriss der Mauern und Zellentrakte, verbunden mit einer teilweisen Öffnung der Klinik, und damit auch für die Patienten, nach Innen und Aussen. Heute sind in einem modernen Institut alle medizinischen Aufgaben von der Patientenversorgung innerhalb einzelner psychiatrischer Fachabteilungen bis hin zu Forschungslabors und Forschungseinrichtungen vereint.

Vorbei an den ehemaligen Standorten der Grafenberger Ziegeleien beiderseits der Bergischen Landstrasse, deren letzte historischen Industriedenkmäler gerade einer massiven Wohnbebauung und dem Desinteresse zum Opfer fallen, geht die Reise auf der alten Heer- und Handelsstrasse über den Gallberg mit seinen alten und neuen Villenanlagen nach Hubbelrath.

Der Ort, dessen Namen nicht von den ihn umgebenden sanften Hügeln oder „Hubbeln“ herrührt, sondern von seinem sagenhaften Gründer „Hupoldes“, liegt inmitten der abwechslungsreichen Kulturlandschaft der Mettmanner Lösshochfläche. Lange konnte sich das Runddorf ein landwirtschaftliches Gepräge und eine selbstbewusste Eigenständigkeit seiner Bewohner erhalten. Von den ehemals zahlreichen älteren Gebäuden hat leider nur die romanische Dorfkirche St.Cäcilia und das gegenüberliegende Pfarrhaus den raschen Strukturwandel mit der Aufgabe mittelständiger landwirtschaftlicher Betriebe und der gleichzeitigen „Landnahme“ bauwilliger Großstädter vor und nach der Eingemeindung nach Düsseldorf im Jahr 1975 überlebt. Selbst der Hubbelrather Hof, erstmals 950 urkundlich erwähnt und Keimzelle des Ortes, ist spurlos verschwunden.

Versteckt im südlichen Tal der Hubbel, besser bekannt als Hubbelrather Bach, liegen die bis heute in Privatbesitz befindlichen ehemaligen Rittergüter Gut Bruchhausen und Gut Mydlinghoven. Nach der Jahrhundertwende wurden sie zur Fabrikantenvilla bzw. zum Gestüt umgebaut und repräsentieren heute den historischen Typ des hochherrschaftlichen Landgutes mit grossbürgerlichem Repräsentationsquarakter, umgeben von grosszügigen Parkanlagen. Gerade bei Gut Mydlinghoven hat der Umbau zu einer Seniorenresidenz das Ende des ruinösen Verfalls der sehenswerten denkmalgeschützten Gebäude und ein Ende der zerstörerischen Eingriffe in das umgebende Naturschutzgebiet erbracht.


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Der Stadtbezirk 07 mit Gerresheim, Grafenberg und Hubbelrath hat in den letzten Jahrzehnten einen starken städtebaulichen und wirtschaftlichen Wandel erfahren. Trotzdem gelingt es seinen Bürgern immer noch, eine historische und kulturelle Sonderstellung gegenüber dem „spätgeborenen“ Düsseldorf zu behaupten. Dies liegt grösstenteils an einer ausgeprägten Bindung zur Geschichte und Tradition ihres Stadtteils, die sie befähigt, die notwendigen Veränderungen selbstbewusst und kritisch zu betrachten, ohne sich den modernen Erfordernissen unserer schnelllebigen Zeit zu verschliessen.


Gaby und Peter Schulenberg 14.11.06


Literaturangaben: -Hugo Weidenhaupt: Gerresheim. Rheinischer Städteatlas, Nr.59, 1994; Rheinland Verlag Köln -Karl-Heinz Bott: Aus der neueren Geschichte Gerresheims. In: Gerresheim und seine Basilika; Hrsg. Stadtsparkasse Düsseldorf, 1986 -Dr. Edmund Spohr: Gerresheim, Analyse eines Stadtbildes. In: Rund um den Quadenhof, Heft 1, 1980 -Kulturkreis Gerresheim (Hrsg.) Rundgang durch das südliche Gerresheim im Bereich der Glashütte. Walter Rau-Verlag 1997 -Kulturkreis Gerresheim (Hrsg.) : Rundgang durch den historischen Ortskern Gerresheims. Walter Rau Verlag, 1. Auflage 1993